Ende des 19. Jhd. Anfang des 20. Jhd. lag die Wirtschaft nicht nur auf Fuerteventura sondern auf dem ganzen kanarischen Archipel danieder. Neben dem Lateinamerika Handel hatte man sich zu sehr auf seine Rohstoffe verlassen. Und beides war innerhalb weniger Jahre völlig wertlos. Erst versetzte der Aufstieg der deutschen chemischen Industrie unter Dr. Adolf von Baeyer den kanarischen Rohstoffen Kali und Soda, Karmin etc. den Todesstoss. Alles konnte BASF in jeder gewünschten Menge tonnenweise in höherer Qualität und spottbillig herstellen, was auf den Kanaren mühsam aber sehr gewinnbringend einst aus Pflanzen gewonnen wurde. Kaum hatte man diesen Schock zwar nicht verkraftet aber akzeptiert, wurde dem kanarischen Archipel noch eines Übergezogen: Die Weltwirtschaftskrise, die grosse Depression. Der einst fluktuierende und hoch profitable Amerikahandel kam zum erliegen. Auf den Kanaren sah es schlimm aus, noch schlimmer auf Fuerteventura. Zu bieten hatte man nichts mehr. Tourismus in nennenswerten Umfang gab es noch nicht und der wenige brach durch die Depression auch weg. Dazu eine Bevölkerung mit katastrophalem Bildungsstand. Auf Fuerteventura waren 90% der Bevölkerung Analphabeten, wie historische Quellen dokumentieren.
So geschah das, was immer in der Geschichte passiert, wenn ein ungebildetes Heer an Arbeitern zur Verfügung steht, die alles machen, um nicht zu verhungern und zu verdursten: Ausbeutung im grossen Stil begann. Eine nervtötende Tätigkeit, die kaum jemand machen wollte und miserabel bezahlt wurde, die Tiefstickerei, hielt Einzug auf Fuerteventura. Alles zu machen, um nicht zu verhungern und zu verdursten, ist keine literarische Floskel sondern bittere Realität gewesen. Alleine bei der grossen Dürre 1901 und 1907, verhungerten und verdursteten hunderte Menschen auf Fuerteventura. Und obwohl Fuerteventura zu dieser Zeit noch nicht einmal ein Telegraphenkabel besass und nur, wenn das Wetter mitspielte, einmal pro Woche vom Postschiff angelaufen wurde, erreichte die Nachricht selbst Wien und die "Neue Freie Presse" berichtete im Morgenblatt über das Drama von Fuerteventura (Neue Freie Presse Morgenblatt, No. 13229, Wien, Sonntag, den 13. Januar 1907).
Vor allem kanarische Lateinamerika Auswanderer, von denen es damals wie heute viele gab und zwar in beide Richtungen, entdeckten das grosse Heer Arbeitsloser als billige Arbeitskraft und setzten an, mit der Not der eigenen Landsleute ein gutes Geschäft zu machen. Passt der Profit, hat kaum jemand Skrupel, auch seine eigenen Landsleute kräftig auszuquetschen, wie man weiss. Stickereiarbeiten zu dieser Zeit in Lateinamerika enorm angesagt. Der sinnlose Luxus als Deckchen am Tisch, dem Kanapee als Requisit, um den Wohlstand zu zeigen oder mit Spitzen Bordüren an Vorhängen zu protzen oder sich das Abendkleid damit zu verschönern. Die Nachfrage nach Stickereiarbeiten war gross, nach "bordado", gestickte Muster und den viel aufwändigeren und umso teureren "calado", Durchbruch, also Hohlraumstickerei unter dem Begriff "Spitze" zusammengefasst. Spitze, entstand im 15. Jhd. als feinste Tüllspitze in Italien, deren Ausführung meisterlicher Hand bedurfte bis hin zur Klöppelspitze, auch aufwändig aber mehr bäuerlich derb. Egal welche Spitze, die Herstellung war enorm zeitaufwendig, nervtötend, monoton und auch physisch anstrengend. Nicht umsonst berichten die alten Märchen von den armen Mägden mit blutenden und schmerzenden Finger. Aber egal, in Fuerteventura brauchte die Bevölkerung etwas zu beissen und so stickte bald alles was weiblich war ob jung oder alt. Die Auftraggeber aus Lateinamerika zahlten Hungerlöhne und konnten, obwohl man in Lateinamerika mit Kampfpreisen antrat, mit grossem Profit verkaufen. Die Preisgestaltung war derart, dass ganz neue Käufergruppen entstanden, denn nun konnten auch jene, die nicht so gut bei Kasse waren, in Lateinamerika Wohlstand vortäuschen den sie nicht hatten.
Einer interessanten Frau aus Lajares, Natividad Hernández López, passte es gar nicht, dass sich Frauen auf Fuerteventura für lau die Finger wund stickten. Natividad Hernández López wurde am 25. Dezember 1928 in Lajares geboren und musste wie ein Grossteil der Jugend auf Fuerteventura feststellen, dass es für sie keine Arbeit auf der Insel gab. So ging sie 1948 nach Gran Canaria, um dort auf einer britischen Bananenplantage zu arbeiten. Briten hatten noch vor der Tomate entdeckt, dass es sich auf Gran Canaria ganz vortrefflich Bananen anbauen liess, die man mit den neuen Dampfschiffen binnen kurzer Zeit in Großbritannien auf dem Markt hatte. Reifeschiffe, wie sie heute "Chiquita" und "Dole" betreiben, gab es noch nicht. Die Arbeit auf den Bananen Plantagen war nicht deutlich besser als seiner Zeit jene der Sklaven auf Kuba und so kehrte Natividad Hernández López 1950 nach Fuerteventura zurück. Das "Sklavendasein" hatte sie geprägt und sie hatte dazu keine rechte Lust mehr. Bevor sie jedoch als Unternehmerin aktiv wurde, heiratetet sie 1950 in Lajares und gründete danach 1957 eine Stickereischule und Kooperative. Sie fasste 35 Frauen zusammen die gemeinsam stickten und da man keine Lust hatte an die lateinamerikanischen Profiteuere zu verkaufen, zog Natividad Hernández López selbst über Gran Canaria, um die Spitzen an den Mann und die Frau zu bringen. Nebenbei schenkte sie noch fünf Kindern das Leben. Eine beeindruckende Frau, die zum Muttertag des 8. März 2017 90ig jährig vom Cabildo geehrt wurde. Auch im 91 Lebensjahr im Jahr 2018 ist sie noch eine rüstige unbeugsame Person. 1970 gründete Natividad Hernández López ein Geschäft in Lajares, das heute den Namen "Los Telares", die Webereien, trägt. Sie wollte an den aufkeimenden Tourismus die Spitze direkt verkaufen. Für viele Touristen ist es schwer zu finden, da sie ein Stickerei Geschäft suchen. Es hat sich aber mittlerweile zum Souvenir Geschäft gewandelt, das kanarische Produkt neben den in der eigenen Werkstatt entstandenen Stickwaren anbietet: Seife, Salz, Mojo bis hin zu Postkarten. Man muss mit der Zeit gehen, denn Spitze läuft nicht mehr. "Los Telares" liegt in Lajares direkt neben der Apotheke am einzigen Geldautomaten.
Die Stickereiwerkstatt kann nur noch durch Subventionen existieren und gibt einigen Frauen Arbeit. Was produziert wird, kann einfach nicht mehr verkauft werden. Die Zeiten, in denen spiessig die Couch, die ein Leben halten sollte, mit Spitzendeckchen geschützt wurde, damit kein Haarfett das teure Teil verunstaltete, oder Zeiten, in denen das Heiligtum TV auf einer Spitzenunterdecke präsentiert wurde, fanden nicht bei jedem statt aber doch vielen. Nur heute sind diese Zeiten endgültig vorbei. Jedenfalls in Europa. Anders in China, das kommunistische System gibt sich selbst bei Staatsempfängen auch heute noch spiessiger als die 1950iger Deutschlands und staffiert selbst die Armlehnen der Sessel, auf denen Staatsgäste Platz nehmen, stilecht mit Spitzendecken aus. Man beachte einmal die Pressefotos. Aus dem Grund überschwemmen auch Chinesen die "Afrika Märkte" und bieten spott billig Spitze feil, die auch nicht schlechter ist. Man näht auch noch für den Touristen "Made in Canary Islands" ein. Daher bekommen die Händler des öfteren Besuch von der Guardia Civil. Wer gefallen daran findet wie Oma zu wohnen, sollte wenigstens echte kanarische Spitze kaufen. Sie ist zwar teurer, aber stilecht. Als Biedermann zu leben hat eben seinen Preis.
Beim Tiefsticken über die Schulter schauen.
Das "Ecomuseo La Alcogida" ist eine schöne Sache. Es ist nicht künstlich sondern echt. Alte Weiler, die von der Inselverwaltung erworben wurden und zusammen mit der Universität Las Palmas bis ins Detail originalgetreu rekonstruiert wurden. Sie bieten einen Einblick wie es sich auf Fuerteventura noch in den 1970igern lebte. Manch einer fühlt sich in das 15. Jhd. versetzt. Nein, das war so vor 50 Jahren.
Das Museum sollte nicht verpasst werden. Auch für Kindern schön, da überall Tiere in den Stallungen stehen. Wer endlich sein Bild von der original Fuerteventura Ziege machen möchte, kann das auch dort erledigen. Eine wirklich tolle Idee, das die einzelnen Gehöfte von Handwerkern belebt werden, die "live" klassisches Handwerk herstellen: Töpferwaren, Brot backen, Korbflechtarbeiten, Webarbeiten und Spitze sticken. Man kann direkt über die Schulter schaue und so man will vor Ort kaufen. Ein Garantie keine China Ware untergejubelt zu bekommen, denn auch im "Los Taleres" in Lajares hört man ist nicht alles Gold was glänzt.
Wer Spitze kaufen möchte, der hat dazu einige Möglichkeiten auf Fuerteventura. Einmal am im Sommer wöchentlich statt findenden "Mercado de Tradiciones" in La Oliva, werktags im "Ecomuseo La Alcogida" in Tefía, im Geschäft "Los Taleres" in Lajares oder auf der einmal im Jahr stattfindenden Messe "Feria Insular de Artesania" in Antigua. Wer als kanarisch umetikettiert China Ware bevorzug, der kann sie auf den Touristenmärkten in Corralejo, Caleta de Fuste, Costa Calma und Morro Jable erwerben. Die auf Fuerteventura als "Afrika Märkte" bezeichneten Wochenmärkte sind bei Touristen sehr beliebt. Es lässt sich ein schönes und breites Angebot wertloser Ware erwerben, die nicht benötigt wird aber den niederen Konsumdrang befriedigt.